Sehr geehrter Herr Jens Spahn,
mein Name ist Stephanie, im Internet kennt man mich jedoch eher unter „Myra Snöflinga„. Ich bin 29 und Lipödem Patientin, seit fast 4 Jahren jedoch erfolgreich operiert an Beinen und Armen. Dass ich heute schmerzfrei Leben darf, verdanke ich meiner Familie, die damals 12.000 EUR für die 3 benötigten Liposuktionen zusammengelegt hat. Zuvor habe ich 3 Jahre vergeblich vor Gericht gekämpft. Der zuständige Richter entschied sich, entegen der Meinung des neutralen Gerichtsgutachter – Arztes dafür, dass die Operationen nicht notwendig seien. Ich sage Ihnen wie es ist: Ich wüsste nicht wo ich heute wäre, wenn meine Familie mich nicht aufgefangen hätte.
Warum schreibe ich Ihnen das? Weil Sie sich dem Thema Lipödem aktuell annehmen, sich mittels ihres Ergänzungsantrages dafür einsetzen möchten, dass die Liposuktionen des Lipödems endlich eine Kassenleistung werden könnte. Weil sie sich etwas trauen, was sich vor Ihnen noch keiner getraut hat. Für diesen Einsatz bin ich, nein sind „Wir“ – 3,8 Mio Frauen in Deutschland aus tiefstem Herzen dankbar.
Dennoch möchte ich meine Ängste mit Ihnen teilen:
3,8 Mio Frauen, dass sind unglaublich viele! 3,8 Mio leidende Frauen, leidende Mütter, leidende Freundinnen, leidende Ehefrauen. Eigentlich sind ganze Familien betroffen. Nun endlich ein Hoffnungsschimmer am Horizont? Hoffnung bedeutet, Vertrauen in die Zukunft zu haben, Zuversicht, Optimismus in Bezug auf das, was die Zukunft bringen wird. Hoffnung bedeutet positive Erwartung, die jemand in jemanden, setzt. Ich denke Ich spreche für 3,8 Mio Frauen wenn ich sage, dass wir nun klare Erwartungen an Sie haben. Erwartungen, dass es nicht nur bei medial inszinierten Berichtertstattungen und Versprechen über mögliche Szenarien bleibt.
Bei 3,8 Mio potentiellen Wählern können Hoffnung und Erwartungen auch schnell in Enttäuschung umschlagen!
Die Frage die sich mir nun stellt: Ist es wirklich realistisch, dass die Liposuktion des Lipödems ohne strenge Auflagen und ohne vorheriges GBA- Studienergebnis, welches in 5-6 Jahren zu erwarten ist, in den Leistungskatalog übernommen wird?
Ich wünsche mir von Herzen, dass sich dem Thema „Lipödem“ nun ernsthaft angenommen wird und dies nicht nur für eigene Vorteile instrumentalisiert wird
Mit freundlichen Grüßen
Stephanie
PS: Ergänzend dazu sollte sich jede Betroffene folgendes GBA Statement durchlesen, bevor sich alle zu früh freuen: https://www.g-ba.de/institution/presse/pressemitteilungen/781/?fbclid=IwAR0Kvy6Yd59VcYmuyeY64ifE01lHFKrMQSdI5SocXryJbWie6J9vhhNiRYE
Fakten und Informationen zur Erkrankung Lipödem
3,8 Mio Frauen sind alleine in Deutschland von der schmerzhaften Krankheit Lipödem betroffen. Das bedeutet im Klartext: Jede zehnte Frau leidet am Lipödem. Seit Jahren kämpfen wir gegen Stigmata und Vorurteile. Wir leiden im Stillen, teilweise ausgegrenzt und zurückgezogen, manche auch laut in der Öffentlichkeit.
Nun überschlagen sich die Ereignisse. Eine gute Gelegenheit die Situation einmal genauer zu betrachten:
1. Was ist das Lipödem:
Das Lipödem, nicht zu verwechseln mit dem sogenannten „Lymphödem“, ist eine sehr schmerzhafte Fettverteilungsstörung, bei welchem sich die Zellen des Unterhautfettgewebes krankhaft vergrößern und zwar symmetrisch auf beiden Körperseiten. Es handelt sich hierbei also um ein fortschreitendes Fettödem. Die Aufteilung erolgt in 3 Stadien, welche den Schweregrad definieren. Hierbei sei diekt gesagt: Ein Lipödem im Stadium 1 schmerzt genauso sehr wie im Stadium 3. Je früher jedoch gehandelt wird desto bessser um das Fortschreiten aufzuhalten und Folgeerkrankungen zu verhinden!
In der häufigsten Form sind Beine und Arme betroffen, daher ergibt sich oftmals eine starke Disproportion von Rumpf und Beinen. Als Betroffene fühlt man sich „wie im falschen Körper“, nichts passt zusammen und obendrein bereitet die Krankheit auch noch körpeliche Schemerzen, die von außenstehenden leider oftmals abgetan werden, da sie die Erkrankung als eine Adipositas missverstehen.
Diese Kombination aus psychischen wie physischen Schmerzen ist ein Teufelskreis, der, insofern die Krankheit lange unentdeckt bleibt, fatale Folgen haben kann. In diesem Blogeintrag beschreibe ich die fatalen Folgen, habe erste Warnsignale aufgelistet und appelliere an Familie und Angehörige die Betroffenen Mädchen / Frauen ernst zunehmen!
2. Die Ursachen des Lipödems:
Die Ursachen der Erkrankung Lipödem sind aktuell noch unklar, es gibt mehrere theorethische Ansätze dazu:
- Genetik, denn meistens sind in einer Familie gleich mehrere Frauen verschiedenere Generationen betroffen
- Hormone, denn das Lipödem tritt oftmals in Zeiten hormonellen Umschwungs auf (Pubertät, Ende der Pubertät, Schwangerschaft, Wechseljahre)
- Eine gestörte Funktion der Mitochondrien (die Kraftwerke der Zelle) wird ebenso in Betracht gezogen wie daraus resultierende „Entzündungen“ oder „Entzündliche Vorgänge“ die eine große Rolle zu spielen scheinen.
Kurzum – wer behauptet, dass das Lipödem ein Resultat mangelnder Disziplin ist verkennt den Ernst dieser Erkrankung! In diesem Blog Eintrag gehe ich nochmal auf die Ursachen ein
3. Wie funktionieren Fettzellen eigentlich?
Was vielen menschen scheinbar gar nicht bewusst ist: Bei gesunden Menschen ist es so, dass gesunde Fettzellen sich vergößern insofern man zunimmt, und sich verkleinern wenn man abnimmt – beim Lipödem ist dieses einfache „Naturgesetz“ jedoch nicht der Fall. Die krankhaft veränderten Fettzellen vergrößern sich unaufhaltsam weiter, egal ob ein Kalorienüber oder Unterschuss vorliegt. Durch dieses voranschreitende Wachsum der Fettzellen ist der Druck im Gewebe enorm. Dass dies Schmerzen bereitet, sollte jedem einleuchten. Die Folge ist nicht selten ein zusätzliches Lymphödem (Wasserödem), sowie Fehlstellungen und Gelenkbeschwerden – welche bei zu spätem Einschreiten, leider nicht mehr rückgängig gemacht werden können:
4. Mögliche Begleit und Folgeerkrankungen des Lipödem
- Irreparable Gelenkschäden (Knie, Hüfte) => incl.weitere Folgeerkrankung
- Wirbelsäulenschäden => incl. weitere Folgeerkrankungen
- Erysipel => kann bis zur Sepsis (Blutvergiftung) führen
- Sekundäres Lymphödem (inoperabel)
- Esstörungen (z.B.: Bulimie, Binge Eating etc.)
- psych. Erkrankungen bis hin zu Suizidäusserungen
- soziale Ausgrenzungen
- Bewegungseinschränkungen / Funktionsbeeinträchtigungen
bis hin zur Schwerbehinderung
– oder Erwerbsminderung
– u.v.m. - häufige Begleiterkrankung:
- Hashimoto Thyreoiditis (Schildrüsenunterfunktion entzündliche Form / Autoimmunerkrankung)
- Fibromyalgie
- Auch Darmentzündungen und andere Erkrankungen werden vermutet im Zusammenhang mit der Erkrankung Lipödem zu stehen
5. Der Skandal in unserem Gesundheitssystem
Wo fängt man an, wo hört man auf: Es fängt eigentlich bereits damit an, dass die meisten Ärzte von der Erkrankung Lipödem nichts wissen. Der Grund dafür: Lymphologische Erkrankungen werden in der Ausbildung der Mediziner nicht behandelt ! Diese fatale Lücke führt dazu, dass selbst Ärzte die betroffenen, oftmals verzweifelt nach Hilfe suchenden Frauen unbehandelt, falsch behandelt oder gar mit Vorurteilen ala „machen Sie mehr Sport und essen sie weniger“ nachhause schicken. Der dabei entstehende Frust und Selbstzweifel resultieren nicht selten in Essstörungen, Depressionen etc….
Im Grunde müssten Frauenärzte speziell zu der Erkrankung Lipödem geschult werden, denn sie sind diejenigen, die die jungen Frauen in der Pubertät, also im entscheidenden Alter sehen und behandeln. Ein kleiner Hinweis in dieser wichtigen Zeit der Entstehung, eine Überweisung zum Phlebologen, welcher der richtige Ansprechpartner für die Diagnose des Lipödems ist, würde hier schon einiges auffangen.
Gäbe es diese entscheidende Lücke am Anfang der Kette schon mal nicht, so hätte man bei vielen Frauen, die heute schwerkrank im fortgeschrittenen Stadium, arbeitsunfähig an ihren Rollator und Rollstuhl gebunden sind, bereits in frühen Stadien einiges auffangen können. Das Lymphödem (Wasserödem) und mehrere Folgeerkrankungen wie zb Gelenkerkrankungen durch Fehlstellungen , nimmt unser Gesundheitssystem aktuell missbilligend in Kauf.
6. Bedarfsgerechte Versorgung
Der größte Skandal: Es gibt aktuelle keine Bedarfsgerechte Versorgung für 3,8 Mio Frauen in Deutschland! Die Krankheit wird Gesundheitspolitisch wie gesellschaftlich bisher nicht ernstgenommen und das obwohl diese bereits eine offiziell anerkannte Krankheit mit ICD Schlüssel ist!
7. Die Therapiemöglichkeiten
Insofern man die Diagnose Lipödem erhalten hat steht einem grundsätzlich eine konservative Therapie bestehend aus Lymphdrainage und Kompression Bestrumpfung via Flachstrick Kompression (sowie die Entstauungstherapien in entsprechenden Kliniken) zu. Diese Therapien werden (eigentlich) von den Krankenkasse, da diese im Leistungskatalog aufgeführt sind. Doch in der Praxis gestaltet es sich oftmals schwierig diese Therapien zu erhalten.
Dazu sei gesagt: Die konservative Therapie muss regelmäßig und ein ganzes Leben lang durchgeführt werden, sie kann bei einigen Betroffenen Erleichterung verschaffen, in den meisten Fällen schreitet das Lipödem aber dennoch fort!
Eine weitaus zuverlässigere Therapie ist die Operation namens Liposuktion oder auch „Lipo Dekompression“ (Entstauung von Fettgewebe) also die Fettabsaugung des Lipödem Gewebes. Diese wird oft mir einer Schönheitsoperation verwechselt, läuft aber anders ab und ist nicht von einem gemeinen Chirurgen durchführbar. Zu den Kriterien und der Abgrenzung habe ich in diesem Blog Eintrag alles zusammengefasst!
8. Warum wird die Operation bisher nicht von der Krankenkasse übernommen?
Die Krankheit Lipödem ist zwar wie bereits geschrieben offiziell als solche anerkannt, und im Besitz eines eigenen ICD Schlüssel , aber sie ist aktuell weder grundlegend erforscht noch erhalten 3,8 Mio Frauen (allein in Deutschland) aktuell eine bedarfsgerechte Hilfe!
Das bedeutet, die Operation, die bei vielen Frauen, einschließlich mir bereits Schmerzfreiheit erzielen konnte, sowie Folgeerkrankungen auffängt, wird aktuell nicht von den Krankenkassen übernommen. Die Fettabsaugung, bzw. die „Lipo-Dekompression“ (Entstauung durch Entnahme des Fettgewebes) steht aktuell nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen – Obwohl sie bereits von Privatärzten jahrelang erfolgreich durchgeführt wird, und in den Leitlinien der Erkrankung ausdrücklich als als Therapiesäule genannt wird!
Die Begründung der Krankenkassen:
Das Lipödem sei nicht lebensgefährlich und die Operation sei in diesem Bezug nicht gut genug erforsch. Die konservative Therapie, die ein Lebelang mit hohem Aufwand für die Betroffenen und hohen Kosten für das Gesunsheitssystem verbunden ist, ist jedoch im Bezug auf das Lipödem jedoch genauso wenig erforscht, wird aber dennoch bezahlt.
Nur um das klarzustellen, nicht jede Lipödem Patientin, kann nach der Operation auf die konservative Therapie verzichten, aber mir geht es ums Prinzip. Es kann nicht sein, dass einerseits gesagt wird, die Erkrankung und die OP Methodik seien nicht gut genug erforscht (Obwohl es mehrere Ärzte gibt die bereits interne Studien geführt haben), und man andererseits eine ebenso wenig offiziell erforschte Therapie durchwinkt – und obendrein noch behauptet, die Erkrankung sei nicht lebensgefährlich, obwohl die Ursache noch nicht mal erforscht ist!)
9. Es gibt bereits verstorbene Patientinnen
Zumal wir erst kürzlich einen Fall erlebt haben, in dem eien an Lipo-Lymphödem Erkrankte Frau durch die Folgen der Erkrankung verstarb- Es handelt sich um die 46 jährige Britta Belzer, hier findet ihr einen Beitrag über sie und ihren Kampf mit der Krankenkasse: https://www.facebook.com/mdrinvestigativ/videos/807210936070711/UzpfSTEyODA5OTE2NDAwNjk5MjoxMTU4NDIzMzIwOTc0NTY2/ Sie ist letzten Monat verstorben…
Fakt ist aktuell also Je früher die Operation stattfindet, desto höher die Chance auf Beschwerdefreiheit, desto höher die Chance keine Folgeerkrankung zu bekommen.
10. Studie des GBA
Der gba – gemeinsamer Bundesauschuss hat für 2022 Studien angekündigt, deren Planung aktuell läuft. Das Ganze ist zurückzuführen auf eine Petition die wir Betroffenen vor einigen Jahren ins Leben gerufen haben, diese Petition hat es damals bis in den Bundestag geschafft!
In dieser Studie sollen sowohl die konservative sowie die operative Therapie untersucht und auf Ihre Erfolge analysiert werden. dafür wird es zwei Patientgruppen geben, wobei wir Betroffenen bereits jetzt ganz klar sagen, beide Therapien müssen zur freien Verfügung gestellt werden! das verstehen wir unter „Bedarfsgerechter Versorgung“
Es kann nicht sein, dass wir Betroffenen uns teilweise hochverschulden müssen, jahrelang in die KrankenKassen einbezahlen, 100.000 und mehr für die konservative Therapie ausgegeben werden aber die Kosten für die Operationen (pro Op kann es zwischen 3000-9000 Eur je nach Arzt kosten – wieviele Operationen man benötigt hängt vom Stadium ab ) selbst zahlen müssen!!
Erste Schritte für Lipödem Patientinnen:
- Das wichtigste ist zunächst einmal eine fundierte Diagnose bei einem Fach-Arzt (Phlebologe) der sich auskennt und bereit ist einen auch bei allen weiteren Schritten (konservative Therapie -operative Therapie) zu unterstützen. Eine Phlebologen Liste habe ich ebenfalls auf meinem Blog bereit gestellt: http://myra-snoflinga.com/2018/11/26/aerzteliste-fuer-deutschland-diese-aertzte-werden-von-lipoedem-patientinnen-fuer-die-erstdiagnose-empfohlen/
- Ganz Wichtig ist ebenso, dass ein Lymphödem ausgeschlossen oder diagnostiziert wird, (via Lymphszintigraphie) Dies ist unter Umständen maßgeblich für die weitere Therapie! Es gibt nämlich das Lipödem, nicht zu verwechseln mit dem Lymphödem – es gibt aber auch die Mischform Lipo-Lymphödem.
- Nach der Diagnose sollte man sich unbedingt zunächst mit der der konservativen Therapie (Lymphdrainage und Kompression, ggf. Entstauungstherapie in einer dafür spzialisierten Klinik , sowie dem Lymphapress ) auseinandersetzen und für einen selbst herausfinden ob diese einem hilft.
- Insofern die konservative Therapie erfolglos bleibt, und man sich für eine Operation entscheidet (auch hierfür findet man eine Liste und Infos auf meinem Blog: http://myra-snoflinga.com/2018/11/12/lipoedem-operation-kriterien-aerzte-im-ueberblick-und-warum-die-studie-des-gba-daran-scheitern-koennte/ sollte man dennoch einen Antrag auf Kostenübernahme an seine Krankenkasse schreiben, und bei Ablehnung auch die Möglichkeit des Widerspruchs beanspruchen. Es gibt immer wieder positive Einzelfall Entscheidungen, und die aktuelle politische Lage könnte erfolgsversprechend sein. Betroffene Frauen finden auf meinem Blog myra-snoflinga.com Anleitungen für die Schreiben mit der Krankenkasse!
Für weitere Infos zum Thema Lipödem besuch mich gerne auch auf:
Instagram: https://www.instagram.com/myra_snoflinga/
YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=x0tJvOGofXI
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