„Spahn möchte Fettabsaugung zur Kassenleistung machen“ oder auch „Spahn fordert Fettabsaugung auf Rezept“ – so lauteten die Überschriften und Parolen der letzten Tage in der gesamten medialen Landschaft.
Die Lipödemcommunity ist gespalten, die Nerven und Gefühle der ohnehin schon leidenden Frauen liegen blank. Mussten sie sich doch wieder einmal und mehr den je mit den typischen Vorurteilen und Stigmata auseinandersetzen.
Im Folgenden möchte ich Euch einen Einblick in meine Gedanken zu den aktuellen Geschehnissen geben und einmal Pro und Contra dazu erläutern.
Lassen wir zunächst alles einmal Revue passieren:
Am Abend des 10.01. tritt Gesundheitsminister Jens Spahn an die Öffentlichkeit. In einem Statement erklärt er, dass er Frauen mit einer „krankhaften Fettverteilungsstörung“ – „schnell und unbürokratisch“ helfen möchte, „da diese nicht nur physisch, sondern auch psychisch leiden.“
Der erste Eindruck der meisten Lipödem Patientinnen war wohl recht positiv: „Endlich werden wir gehört, ernst genommen und es tut sich etwas!“
Der zweite Eindruck jedoch, ist bei einigen schon weitaus ernüchternder, insofern man sich näher mit der angewandten Methodik des Ministers beschäftigt.
Unter einer „unbürokratischen und schnellen Hilfe“ versteht Jens Spahn nämlich, den GBA (Gemeinsamen Bundesausschuss) zu entmachten und sich, bzw. sein Ministerium dazu zu befugen, zukünftig über Behandlungsmethoden zu entscheiden.
Das Thema „Fettabsaugung bei Lipödem“ dient ihm hier lediglich als Beispiel für sein Vorhaben.
Die oben genannten Schlagzeilen erscheinen in diesem Zusammenhang also fast schon beabsichtigt. Ein inszenierter Medienrummel, kontrovers und hochgehypt, um den Druck auf den GBA zu erhöhen? Sozusagen als Mittel zum Zweck?
„Spahn fordert Fettabsaugung auf Rezept“ – liest man diese Überschrift als Außenstehender, ist Wut verständlicherweise vorprogrammiert. Die Irreführung lässt zunächst vermuten, dass Spahn rein kosmetische Eingriffe meint. Ist dies beabsichtigte Polemik auf dem Rücken der Lipödem Betroffenen?
Nun könnte man es aber natürlich auch positiv sehen, es folgen Folgeberichterstattungen, Interviews, TV Auftritte für und mit Betroffene und Ärzte. Und auch wenn einige sicherlich nur die Überschriften lesen, es wird auch viele Menschen geben, die sich nun tiefer mit dem Thema befassen. Die vielleicht auch selbst merken, dass sie vom Lipödem betroffen sind.
Aber wäre das alles nicht auch mit einer fundierten und geplanten Aufklärungskampagne möglich gewesen? Hätte man zunächst nicht auch grundlegende Eckpfeiler für die Forschung, die Therapie und die Behandlung stecken können? Und allem voran, warum schickt man keine fundierte Pressemeldung mit Informationen heraus, wenn man sich dazu entschließt mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu treten?Damit hätte man verhindern können, dass es zu den vielen massiv fehlerhaften Berichterstattungen gekommen ist. Doch dies ist vonseiten des Gesundheitsministeriums nicht geschehen.
Einzig durch die auf Social Media sehr aktive Lipödemcommunity, konnte bewirkt werden, dass einige Berichterstattungen korrigiert wurden.
Noch vor wenigen Wochen hat Spahn, nach eigener Aussage, nicht einmal etwas von der Krankheit Lipödem gewusst. Der GBA hingegen, setzt sich bereits seit Jahren mit der Thematik auseinander. Leider bisher jedoch ohne Ergebnisse. In der Lipödemcommunity spricht man hier von beabsichtigter „Verschleppungstaktik“.
Das bisherige Argument des GBAs, warum die operative Methode beim Lipödem nicht Leistung der Kassen ist: Es gäbe keine Studien, welche die Nachhaltigkeit und den Erfolg der Liposuktion garantiert. Eine Studie wurde daher letztes Jahr, erst nach langem Hin und Her und einer von Patienten initiiert Petition, in die Wege geleitet. Doch die bürokratischen Mühlen mahlen zu langsam in Anbetracht der vielen Mio. betroffenen Frauen, die aktuell massiv unterversorgt sind.
Betrachtet man aber die Tatsache, dass es mehrere Ärzte gibt, die das Lipödem seit 20 und mehr Jahren bereits operieren, interne Studien durchgeführt haben, und auch der Vorstand des Lipödem Hilfe Vereins als Patientenvertretung ,dem Ausschuss des GBA zum Austausch zur Verfügung steht und stand, ist es unverständlich, warum sich diese Angelegenheit bereits so lange zieht.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet mag der „Vorstoß“ des Ministers fast schon wie eine revolutionäre Heldentat aussehen.
Wenn der Sturm vorüber ist, wird jedoch ein laues Lüftchen nach wehen und ich höre es sagen „Aber er hat es ja wenigstens versucht.“ Sehr geschickt, denn nicht jedem ist klar, dass Jens Spahn von Anfang an wusste, dass sein Vorhaben ins Leere laufen wird. In diesem Wissen wurden falsche Berichterstattungen in Kauf genommen, so scheint es.
Aber auch hier höre ich die Stimmen, die sagen: „Aber jetzt habt Ihr ja wenigstens mehr Aufmerksamkeit für die Sache!“
Und ja, all das hat für viel Aufsehen und Aufregung gesorgt, welche es im weiteren Verlauf JETZT jedoch gut zu nutzen gilt.
Denn was wir wirklich brauchen, ist eine fundierte Aufklärungskampagne, Ausbildungen und Schulungen sowie Weiterbildungen für Ärzte, allen voran Frauenärzte. Diese sehen die jungen Mädchen in der Zeit des Ausbruchs der Erkrankung und würden eine möglichst frühzeitige Diagnose wie Behandlung ermöglichen.
Was wir wirklich brauchen ist eine fundierte Forschung. Denn erst dann kann es ganzheitliche Therapiekonzepte geben.
Parallel muss jedoch für eine Versorgung gesorgt sein, und zwar für jede Lipödem Patientin – konservativ wie operativ. Einzelfallentscheidungen sollten unbedingt wieder ermöglicht werden, dies scheint aktuell die einzige, umsetzbare und realistische Lösung zu sein.
Mediale Berichterstattungen habe ich von Anfang an stets befürwortet, und mich dafür eingestezt, dennoch sollte man auch hier über den Tellerrand hinaus blicken.
Wenn das Thema abschwächt und sich nicht in unmittelbarer Zeit ein grundlegendes „Regelwerk“ manifestiert, werden wir danach erst recht nicht ernster genommen werden als vorher!
Ein Schritt vorwärts, drei zurück…
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